Collage einer fiktiven Lichtinstallation an der GKK-Filiale in Heidelberg. Die strategischen Lagen machen die Kaufhäuser vor allem für (teil-)öffentliche Nutzungen interessant. Quelle Vorlage (10/2020)

RE-MIXING PROCESS

TYPOLOGIE ALS NETZWERK

Friedrich von Borries und Benjamin Kasten beschreiben in ihrem Buch „Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis“ verschiedene technische, ökologische, ökonomische und soziale Transformationen und antizipieren die Lebenswelt einer imaginäre Zukunftsstadt. Viele darin angesprochene Handlungsfelder betreffen uns bereits in der Gegenwart, wie zum Beispiel die Energiewende. Diese und viele andere Transformationen ziehen auch räumliche Anpassungen mit sich, welche zunehmend integral betrachtet werden sollten. Bezogen auf die gebaute Umwelt und die verschiedenen Nutzungen urbaner Räume bedeutet dies, dass „Kreisläufe nicht länger unabhängig voneinander betrachtet und ihnen nicht mehr verschiedene, funktionsspezialisierte Räume zugewiesen werden können. Für diese herkömmliche Lösung fehlt einerseits der Platz und andererseits bedingen sich die Kreisläufe gegenseitig.“[1] [2]Dieser Prozess lässt sich als Hybridisierung bezeichnen.[3] Die zunehmend leerstehenden Kaufhäuser können als Reallabore zur Entwicklung solcher funktionsgemischter Nutzungsprogramme nutzbar gemacht werden. Die zentralen Lagen der Gebäude können insbesondere für potentielle öffentliche Nutzungen sinnstiftend eingesetzt werden.

Bisher dienten Kaufhäuser der Marktpräsenz eines Handels-Unternehmens. Das Gebäude ermöglichte dem Unternehmen, durch eine besonders zentrale Lage in der Innenstadt, den Status eines Anker-Mieter einzunehmen. Große zusammenhängende Verkaufsflächen in Kaufhäusern sollen überregional Kund*innen in das Stadtzentrum ziehen. In Groß- und polyzentrisch organisierten Städten befinden sich zudem Stadtteil-Kaufhäuser in deren Umgebungen lokale Subzentren ausgebildet wurden. Historisch hatten Handelszentren und Märkte polyfunktionale Bedeutungen und dienten neben dem Handel mit Waren auch dem Austausch von Wissen und der sozialen Interaktion. Sie definierten damit kulturelle Mittelpunkte einer Gesellschaft. Zunehmend monofunktionalisierten Stadträumen fehlen diese sozialen Verhandlungsorte.

Die von Schließungen betroffenen Kaufhäuser sind repräsentativ für den Wandel des stationären Einzelhandels und den Handlungsbedarf in wenig prosperierenden Innenstädten. Als monofunktionale Typologie folgen die Kaufhäuser generischen, starren Merkmalen und verfügen über wenig Resilienz und Anpassungsfähigkeit gegenüber systemischen Veränderungen. Vor allem diese Flächen stellen Potentialräume für eine zukunftsweisende Neuprogrammierung urbaner Räume dar.

Ankündigung der Schließung der GALERIA KAUFHOF Filiale in Braunschweig im August 2020.
Quelle (10/2020)

MULTIPLIKATOREN DES WANDELS

Aufgrund der Digitalisierung des Warenhandels sind die strategisch gelegenen Immobilien für die Distribution der Waren nicht mehr zwingend notwendig. Durch die dezentralen Zugriffsmöglichkeiten - auch auf spezialisierte Produktgruppen im Internet - bilden die Warenhäuser für Handelskonzerne nunmehr kein Garant für relevante Marktanteile.

Veränderungen des Warenhandels im Zusammenhang mit Kommunikationsmedien sind nicht neu. Jeremy Rifkin beschreibt in seinem Buch „Die Null Grenzkosten Gesellschaft“ das Zusammenspiel von technischen Infrastrukturen und der Distribution von Waren, sowie dessen potentielle überregionale Auswirkung auf Lebenswelten. „Was Amerika anbelangt, so entstanden in Chicago im Gefolge des großen Feuers von 1871 zahlreiche Großdruckereien. […] Bei ihren gewaltigen Kapazitäten und ihrer zentralen Lage konnten sie die Kostenersparnisse durch Massenproduktion nutzen, sodass sie bald für einen Gutteil der Druckerzeugnisse des ganzen Landes verantwortlich waren. Diese Unternehmen waren umgeben von Schriftgießereien und Druckpressenherstellern und schufen so einen integrierten industriellen Komplex am Chicagoer Güterbahnhof, dem zentralen Schienenknotenpunkt des ganzen Landes, wodurch der rasche Versand von Lehrbüchern, Magazinen und Katalogen in alle Bundesstaaten garantiert war.“[4]Durch das Internet als Kommunikationsmedium diversifiziert sich das erreichbare Warenangebot. Auch sehr spezielle oder individuell angefertigte Produkte sind nun, unter Voraussetzung eines Internetzugangs, bestellbar. Logistikzentren und Netzwerke zur Verteilung der dezentral bestellten Waren ersetzen die Warenhäuser in ihrer Funktion.

Kaufhaus-Typologien könnten zukünftig lediglich geringe Flächen für Show-Rooms vorhalten, da eine massenhafte Verfügbarkeit zunehmend über Mobilität und logistische Infrastrukturen gewährleistet wird.
Die restlichen Geschossflächen könnten einen zukunftsweisenden Beitrag zur stärkeren Funktionsmischung urbaner Räume leisten und damit dem städtebaulichen „demixing process“[5] der vergangenen Jahrzehnte entgegenwirken.


[1] Friedrich von Borries und Benjamin Kasten, Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2019, S. 101
[2] Vgl.: R. Buckminster Fuller, Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, Verlag der Kunst, Amsterdam, Dresden, 1998
[3] Vgl.: Friedrich von Borries und Benjamin Kasten, Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2019, S. 101[4] Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2016, S. 72 [5] Vgl.: Mark Brearley, A good city has industry, 10.08.2020 abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=XzM3AERvM70