Quelle Vorlage (10/2020)




Zirkuläres Wirtschaften auf lokaler Ebene bedeutet, verschiedene Akteur*innen vor Ort zu vernetzen. Spezifische Nutzungen können geteilt und räumlich Verbunden werden.

ZIRKULÄRES GESELLSCHAFTSMODELL

TRANSFORMATIONEN BENÖTIGEN VERHANDLUNGSRÄUME

WENIGER THERMO, MEHR DYNAMIK


Wie eingangs beschrieben, wird spätestens seit dem Übergang vom Holozän zum Anthropozän die seit Jahrzehnten kumulativ nachweisbare Kursabweichung auf der Erde deutlich. Fast ausnahmslos alle wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben, dass dringender Handlungsbedarf besteht, die endlichen Ressourcen des Planeten zirkulär einzusetzen. Dies bedeutet ein neues System zu gestalten, welches „das Verbrauchen“ durch „das Erhalten“ ersetzt.„Verbrennen wir zum Beispiel ein Stück Kohle, bleibt die Gesamtmenge der Energie konstant, sie wird jedoch in Form von Kohlendioxid, Schwefeldioxid und anderen Gasen über die Atmosphäre verteilt. Auch wenn Energie nie verloren gehen kann, diese verstreute Energie ist nicht mehr in der Lage, sinnvolle Arbeit zu verrichten. „Physiker bezeichnen diesen Verlust an nutzbarer Energie als Entropie.“ [1] Neben der Emission von unsichtbaren Gasen bei fossiler Energieproduktion gibt es weit nahbarere Beispiele für Entropie. Eine Insel aus Kunststoffteilen im Ozean ist dem zirkulären Einsatz der Ressource entzogen und richtet, degradiert als Müll, weitere Schäden in den Ökosystemen an. Die zunehmende Entropie wird jedoch entgegen jeder wissenschaftlichen Erkenntnis im vorherrschenden Wirtschaftssystem letztendlich positiv bewertet. Globale Bewertungs-Parameter für das Funktionieren und Operieren von Staaten wie das Brutto-Inlands-Produkt werten auch destruktive Prozesse als positive Handlungen, „zwischen negativem und positivem Wirtschaftswachstum unterscheiden sie [diese Bewertungs-Parameter] nicht“ [2]. Führt ein destruktives Ereignis wie ein Verkehrsunfall dazu, dass ein Fahrzeug repariert beziehungsweise verschrottet und dann ein Weiteres neuangeschafft werden muss, dann wird dieses Ereignis im Sinne des wirtschaftlichen Bewertungssystems positiv bewertet. Es trägt im kleinen Rahmen zur Wirtschaftsleistung bei, während erhebliche Ressourcen eingesetzt werden müssen.



LINEARES WIRTSCHAFTSSYSTEM

EXPERIMENT

Seit Beginn der Industrialisierung steigt der globale Energiebedarf stark an und überschreitet das natürliche Maß zur Regeneration des Planeten. Im Nachhaltigkeitsdiskurs wird daher argumentiert, dass Einsatz von Ressourcen und Wirtschaftsleistung entkoppelt werden müssen. Wohlstand soll wachsen, der Ressourcenverbrauch jedoch auf das verträgliche planetare Maß begrenzt werden. [3] Die lineare Wirtschaft, basierend auf Produktion, Nutzung, Verbrauch und Entsorgung, sorgt für eine stetig wachsende Entropie der planetaren Ressourcen. In der Wirtschaftsforschung bilden sich im Kern zwei Ansätze zur Veränderung des linearen Wirtschaftens heraus, die auf der Betrachtung der oben beschriebenen Thermodynamik basieren:

In einem ersten Modell wird vom vorhandenen Wirtschaftssystem ausgegangen, jedoch sollen die realen Kosten im Kapitalismus internalisiert werden. Dies bedeutet, dass in den Preis einer Ware, Dienstleistung oder eines Datenpakets alle für die Erzeugung notwendigen Ressourcen und Kosten einzubeziehen sind. Darunter fallen dann auch die Kosten für den Erhalt, das Recycling oder die umweltverträgliche Entsorgung ebendieses Produkts. Dieses System wird auch als grüner Kapitalismus bezeichnet. Zur Optimierung dieses Systems werden vermehrt technische Innovationen zur ressourcenschonenden Produktion und Nutzung von Gütern entwickelt. Diese Optimierungen führen jedoch nicht zu einer Transformation der Stoffwechselbasis. Es werden lediglich weniger Schadstoffe emittiert und Energie eingesetzt. Dennoch steigt der akkumulierte Ressourcenverbrauch an. Dieses Missverhältnis wird als Rebound-Effekt oder Effizienzfalle bezeichnet. [4] [5]

In einem zweiten Modell wird von der Abkehr vom Wachstumsparadigma, also der Grundidee des kapitalistischen Systems, ausgegangen. Das zentrale Argument dieses Ansatzes ist, dass selbst bei Internalisierung aller relevanten Kosten, der Ressourcenverbrauch durch den stetig steigenden Wohlstand das planetar verträgliche Maß übersteigt. Die Digitalisierung bildet in dieser Post-Wachstums-Aufgabe ein zentrales Werkzeug. Denn auf die Frage, „was die durch die Digitalisierung erwartbaren Produktivitätsgewinne für die künftige Produktion und Wohlstandsbeteiligung bedeuten [könne], liegen bisher kaum überzeugende Antworten vor. Vielmehr wächst die Angst, dass eine weitere Konzentration der ökonomischen Wertschöpfung in einem globalen Plattformkapitalismus in den Händen weniger droht, ohne dass eine staatliche Steuerung überhaupt möglich scheint“ [6]

Statt auf globale Produktionszentren zu setzen, sollten digitale Fabrikationsmethoden, gestützt durch regenerativ gewonnene Energie,
als dezentral organisiertes Netzwerk (Commons-based Peer Production) eingesetzt werden, um Gewinne umzuverteilen und Zugänge zur Wirtschaft individuell und in verschiedenen Maßstäben (collaborative commons) zu ermöglichen. [7] [8]

Die zentrale Zukunftsaufgabe der Gesellschaft wird sein, die Entropie der planetaren Ressourcen zu stoppen und ein zirkuläres Gesellschaftsmodell zu entwickeln. Zu dieser gesellschaftlichen Transformation werden Verhandlungsräume notwendig sein, in denen dieser Wandel vermittelt werden kann. Die zentralen Sektoren des vorherrschenden Gesellschaftsmodell sind derzeit die Finanzwirtschaft und Warenproduktion. Im Besonderen bilden sich für diese Bereiche Finanz- und Produktionsagglomerationen mit globaler Strahlkraft und in dessen Folge übergeordnete Infrastrukturen zur Verbindung dieser Zentren und ihrer Subzentren. Auf einer lokalen Betrachtungsebene ist erkennbar, dass urbane Räume als besonders verdichtete Handlungssorte in den vergangenen Jahrzehnten, beispielsweise im Sinne einer aufgelockerten und autogerechten Stadtentwicklung, vermehrt monofunktionale Gebiete ausgebildet wurden. Wohngebiete, Industriegebiete, Gewerbegebiete, Bildungszentren et cetera wurden funktional getrennt, Individualmobilität sorgte für die notwendige Erschließung, wo öffentlicher Personennahverkehr unterentwickelt blieb oder sogar zurückgebaut wurde. Zirkuläres Wirtschaften und Produzieren bedeutet hingegen „verschiedene Funktionen und Kreisläufe“ [9] lokal miteinander zu kombinieren. Ein zirkuläres Gesellschaftsmodell benötigt daher Orte der „Hybridisierung, die man auch schon im Hier und Jetzt erproben kann“. [10] „Hier bieten sich durch die Weiterentwicklung der Produktionstechnik und vor allem durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien interessante Gestaltungsoptionen für die Stärkung von Produktionsstandorten in den Städten. Entscheidend sind dabei nicht zuletzt die konsequente Reduktion der Emissionsbelastungen und die Einbindung in stadtverträgliche Logistiksysteme. Aber auch die effizientere Nutzung von Gewerbe- und Industrieflächen durch neue flächensparende städtebauliche und architektonische Konzepte, die die Stapelung von Funktionen ermöglichen, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Industrie im städtischen Raum. Gefordert ist eine neue städtische Industriearchitektur, die nicht nur eine Integration von Produktion und Dienstleistungen in flächensparender Weise ermöglicht, sondern diese neuen industriellen Anlagen auch intelligent in den Stadtraum einbindet und die Produktion in der Stadt sichtbar macht.“ [11]
Wie bereits erwähnt, sind dazu notwendige Kurskorrekturen in technologisierten und demokratischen Gesellschaften meist mit komplexen Aushandlungsprozessen verbunden und oft nur schwer möglich. Alternativ können Experimente in der Planung kurzfristig Lösungen erproben und dabei verschiedene Lebenswelten miteinbeziehen. Anpassungen der Lebenswelt führen zwangsläufig dazu, dass sich verschiedene Transformationsräume herausbilden, dessen angedachte Nutzungen obsolet werden. Vor allem monofunktionale Typologien weisen nur geringe Resilienz gegenüber Transformationen auf und können als Experimentort komplexer Aushandlungsprozesse dienen.

Nachfolgend werden verschiedene Transformationsräume betrachtet, im Fokus liegen dabei Kaufhäuser der Galeria-Karstadt-Kaufhof Gruppe (GKK-Gruppe). Als urbane Typologie des Handels unterliegen sowohl die Nutzung, als auch die Gebäude selbst der Transformation des Warenhandels, die durch die Digitalisierung bedingt wird. Schließungen verschiedener Warenhäuser bieten die Möglichkeit, eine Nachnutzung der Typologie zu antizipieren. In einem prototypischen Testentwurf werden verschiedene produzierende Funktionsbereiche in einem hybriden Cluster zusammengefasst. Um eine Übertragbarkeit auf unterschiedliche Standortfaktoren zu gewährleisten, werden die in dem Entwurf abgebildeten Funktionen, repräsentativ für ein zirkuläres Gesellschaftsmodell, in fünf Kategorien eingeordnet.

Entwicklung, Produktion und Reparatur sind die verschiedenen Stadien, die Produkte in der Regel durchlaufen und dabei optimiert werden. Im urbanen Umfeld finden sich zahlreiche Werk- und Produktionsstätten, die Güter unterschiedlicher Größe und Komplexität verarbeiten, oft nahbare Produkte, die direkte Anwendung im Alltag finden können. [12]
„Die Ästhetik der Stadt der Zukunft lässt sich vielleicht am besten in Anlehnung an die Ästhetik einer Werkstatt oder eines Übungsraums beschreiben. In Übungsräumen […] finden wir nicht alles schön. Es ist auch nicht wichtig, dass es schön ist, denn es ist funktional: 
Wir wissen, dass uns die Übungen Fähigkeiten vermitteln, die wir gerne hätten, [die wir] uns aber noch erarbeiten müssen. Das ästhetische Moment der Werkstatt besteht darin, dass die Dinge, die in ihr bearbeitet werden, noch nicht fertig sind, sondern sich im Entstehen befinden. Man sieht Prototypen, Zwischenstadien und gescheiterte Versuche.“ [13]

Diese Stadien (Entwickeln, Produzieren, Reparieren) lassen sich auf unterschiedliche Akteur*innen übertragen und treffen sowohl auf die Waren-, Güter- und Wissensproduktion zu.

Um Erkenntnisse oder Herausforderungen aus diesen Prozessen zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, muss darüber berichtet werden. Berichten bedeutet nicht nur Informationen zugänglich zu machen, sondern diese auch aufzuarbeiten, einzuordnen und darüber zu reflektieren. Lokale Medien spielen dabei eine wichtige Rolle als Schnittstelle zwischen globalen Prozessen und lokalen Auswirkungen. Ebenso findet Innovation an real-lokalisierbaren Orten und nicht im globalen Datennetz statt. Forschungsergebnisse aus Bildungseinrichtungen und Innovationszentren entspringen lokalen Kontexten. Lokale Berichterstattung bringt verschiedene Aspekte einer urbanen Lebenswelt zusammen und ordnet sie in übergeordnete Zusammenhänge ein. „Unsere Erfindungen und wissenschaftlichen Errungenschaften verdanken wir weniger einzelnen historischen Personen als vielmehr ganzen Gemeinschaften – und vor allem der Methode, wertvolle Informationen niederzuschreiben und somit ständig verfügbar zu halten.“ [14]

Nicht alle Funktionen finden an einem urbanen Ort statt. So liefert beispielsweise die Bewirtschaftung von forst- und landwirtschaftlichen Flächen essentielle Rohstoffe während das Management von Naturschutzgebiete zum Erhalt natürlicher Lebensräume beiträgt und  Erholungs- und Gegenorte zur Urbanität bildet. Die Vernetzung und der Austausch mit diesen Orten und ihren Akteur*innen spielen trotz räumlicher Distanz eine zentrale Rolle für das Funktionieren urbaner Orte. Akteur*innen in nicht-urbanen Räumen sind als Kompliz*innen ebenfalls in den Experimentraum zu integrieren.



[1] Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2016, S.23
[2] ebda. S.40

[3] Vgl.: Uwe Schneidewind, Die Große Transformation, Kapitel: „Doppelte Entkopplung – Jenseits der -Grünen Ökonomie-“, FISCHER Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2018, S. 54 - 64

[4] ebda.
[5] Vgl.: Vortrag „Material Matters – die Architektur eines neuen Wirtschaftssystems“, Thomas Rau, Schönauer Sommerseminare 2019, Elektrizitätswerke Schönau, 19.09.2020 abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=eFt5kWIcpW4

[6] Uwe Schneidewind, Die Große Transformation, FISCHER Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2018, S. 72

[7] Vgl.: Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2016 S. 133
[8] Vgl.: Ben Robra, Pasi Heikkurinen, Iana Nesterova, Commons-based peer production for degrowth? - The case for eco-sufficiency in economic organisations, Elsevier, 20.08.2020 abgerufen unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii S2666188820300289?via%3Dihub
[9] Friedrich von Borries und Benjamin Kasten, Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2019, S. 101

[10] ebda.
[11] Dieter Läpple, Produktion zurück in die Stadt. Ein Plädoyer, Bauwelt 25.2016, Bauverlag, Berlin, 2016, S.26

[12] Vgl.: Mark Brearley, A good city has industry,
10.08.2020 abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=XzM3AERvM70

[13] Friedrich von Borries und Benjamin Kasten, Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2019, S. 130

[14] Sabine Oberhuber, Thomas Rau, Material Matters, Econ Verlag, Berlin, 2. Auflage 2019, S. 131




Beispiele monofunktionaler Räume und Typologien, die Teil alltäglicher Lebenswelten und auf lineares Wirtschaften ausgelegt sind.
Quellen (10/2020) [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7[8] [9] [10] [11]

TRANSFORMATIONSRÄUME

MONOKULTUREN MANGELT ES AN RESILIENZ

Im Zuge der notwendigen Energiewende und Abkehr von fossiler Energieproduktion entstanden verschiedene Transformationsfelder mit dringendem Handlungsbedarf. Neben dem Grundmotiv, der Reduktion der Kohlenstoffdioxid-Emissionen, ist diesen Transformationen gemein, dass Flächen umverteilt, anders oder weniger kapitalisierend eingesetzt oder zum Schutz der Umwelt ihres vorherigen Zwecks entbunden werden.

Oft haben die Räume und Funktionen „einen landschaftsprägenden, fast schon ikonischen Charakter als Symbole einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und des ungebrochenen Fortschrittsglaubens. Mit ihrem Wegfall entsteht ein Vakuum, das es zu begreifen und perspektivisch zu füllen gilt“, [1] wie Jan und Tim Edler im Rahmen eines Kunstprojekts zu Braunkohlekraftwerken schreiben. Transformationsräume lassen sich in verschiedenen Maßstäben finden. Nachfolgend werden einige monofunktionale Typologien genannt, dessen Nutzungen für zukünftige Entwicklungen noch unklaren Bedarf aufweisen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird ein Fokus auf die Typologie Kaufhaus als Anwendungsbeispiel gelegt.


[1] Jan und Tim Edler, (realities:united), Ausstellung: „Fazit“ in der Berlinischen Galerie, Berlin, Presseinformation, 11.08.2020 abgerufen unter: https://berlinischegalerie.de/assets/downloads/presse/Pressetexte/Pressearchiv/2019/Pressemappe_realities-united_26.4.19_Berlinische-Galerie.pdf


Aufbauend auf Infrastrukturprojekte, welche maßgeblich seit Beginn der Industrialisierung entwickelt werden, werden nahezu alle Bereiche der in dieser Studie beschriebenen Lebenswelt verformt und gestaltet. Zahlreiche Anpassungen der Landschaft, Gebäude und Mobilitäts-Korridore ergeben eine gewachsene Struktur von Lebensräumen.
Quelle (10/2020)




Collage einer fiktiven Lichtinstallation an der GKK-Filiale in Heidelberg. Die strategischen Lagen machen die Kaufhäuser vor allem für (teil-)öffentliche Nutzungen interessant. Quelle Vorlage (10/2020)

RE-MIXING PROCESS

TYPOLOGIE ALS NETZWERK

Friedrich von Borries und Benjamin Kasten beschreiben in ihrem Buch „Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis“ verschiedene technische, ökologische, ökonomische und soziale Transformationen und antizipieren die Lebenswelt einer imaginäre Zukunftsstadt. Viele darin angesprochene Handlungsfelder betreffen uns bereits in der Gegenwart, wie zum Beispiel die Energiewende. Diese und viele andere Transformationen ziehen auch räumliche Anpassungen mit sich, welche zunehmend integral betrachtet werden sollten. Bezogen auf die gebaute Umwelt und die verschiedenen Nutzungen urbaner Räume bedeutet dies, dass „Kreisläufe nicht länger unabhängig voneinander betrachtet und ihnen nicht mehr verschiedene, funktionsspezialisierte Räume zugewiesen werden können. Für diese herkömmliche Lösung fehlt einerseits der Platz und andererseits bedingen sich die Kreisläufe gegenseitig.“[1] [2]Dieser Prozess lässt sich als Hybridisierung bezeichnen.[3] Die zunehmend leerstehenden Kaufhäuser können als Reallabore zur Entwicklung solcher funktionsgemischter Nutzungsprogramme nutzbar gemacht werden. Die zentralen Lagen der Gebäude können insbesondere für potentielle öffentliche Nutzungen sinnstiftend eingesetzt werden.

Bisher dienten Kaufhäuser der Marktpräsenz eines Handels-Unternehmens. Das Gebäude ermöglichte dem Unternehmen, durch eine besonders zentrale Lage in der Innenstadt, den Status eines Anker-Mieter einzunehmen. Große zusammenhängende Verkaufsflächen in Kaufhäusern sollen überregional Kund*innen in das Stadtzentrum ziehen. In Groß- und polyzentrisch organisierten Städten befinden sich zudem Stadtteil-Kaufhäuser in deren Umgebungen lokale Subzentren ausgebildet wurden. Historisch hatten Handelszentren und Märkte polyfunktionale Bedeutungen und dienten neben dem Handel mit Waren auch dem Austausch von Wissen und der sozialen Interaktion. Sie definierten damit kulturelle Mittelpunkte einer Gesellschaft. Zunehmend monofunktionalisierten Stadträumen fehlen diese sozialen Verhandlungsorte.

Die von Schließungen betroffenen Kaufhäuser sind repräsentativ für den Wandel des stationären Einzelhandels und den Handlungsbedarf in wenig prosperierenden Innenstädten. Als monofunktionale Typologie folgen die Kaufhäuser generischen, starren Merkmalen und verfügen über wenig Resilienz und Anpassungsfähigkeit gegenüber systemischen Veränderungen. Vor allem diese Flächen stellen Potentialräume für eine zukunftsweisende Neuprogrammierung urbaner Räume dar.

Ankündigung der Schließung der GALERIA KAUFHOF Filiale in Braunschweig im August 2020.
Quelle (10/2020)

MULTIPLIKATOREN DES WANDELS

Aufgrund der Digitalisierung des Warenhandels sind die strategisch gelegenen Immobilien für die Distribution der Waren nicht mehr zwingend notwendig. Durch die dezentralen Zugriffsmöglichkeiten - auch auf spezialisierte Produktgruppen im Internet - bilden die Warenhäuser für Handelskonzerne nunmehr kein Garant für relevante Marktanteile.

Veränderungen des Warenhandels im Zusammenhang mit Kommunikationsmedien sind nicht neu. Jeremy Rifkin beschreibt in seinem Buch „Die Null Grenzkosten Gesellschaft“ das Zusammenspiel von technischen Infrastrukturen und der Distribution von Waren, sowie dessen potentielle überregionale Auswirkung auf Lebenswelten. „Was Amerika anbelangt, so entstanden in Chicago im Gefolge des großen Feuers von 1871 zahlreiche Großdruckereien. […] Bei ihren gewaltigen Kapazitäten und ihrer zentralen Lage konnten sie die Kostenersparnisse durch Massenproduktion nutzen, sodass sie bald für einen Gutteil der Druckerzeugnisse des ganzen Landes verantwortlich waren. Diese Unternehmen waren umgeben von Schriftgießereien und Druckpressenherstellern und schufen so einen integrierten industriellen Komplex am Chicagoer Güterbahnhof, dem zentralen Schienenknotenpunkt des ganzen Landes, wodurch der rasche Versand von Lehrbüchern, Magazinen und Katalogen in alle Bundesstaaten garantiert war.“[4]Durch das Internet als Kommunikationsmedium diversifiziert sich das erreichbare Warenangebot. Auch sehr spezielle oder individuell angefertigte Produkte sind nun, unter Voraussetzung eines Internetzugangs, bestellbar. Logistikzentren und Netzwerke zur Verteilung der dezentral bestellten Waren ersetzen die Warenhäuser in ihrer Funktion.

Kaufhaus-Typologien könnten zukünftig lediglich geringe Flächen für Show-Rooms vorhalten, da eine massenhafte Verfügbarkeit zunehmend über Mobilität und logistische Infrastrukturen gewährleistet wird.
Die restlichen Geschossflächen könnten einen zukunftsweisenden Beitrag zur stärkeren Funktionsmischung urbaner Räume leisten und damit dem städtebaulichen „demixing process“[5] der vergangenen Jahrzehnte entgegenwirken.


[1] Friedrich von Borries und Benjamin Kasten, Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2019, S. 101
[2] Vgl.: R. Buckminster Fuller, Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, Verlag der Kunst, Amsterdam, Dresden, 1998
[3] Vgl.: Friedrich von Borries und Benjamin Kasten, Stadt der Zukunft, Wege in die Globalopolis, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2019, S. 101[4] Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2016, S. 72 [5] Vgl.: Mark Brearley, A good city has industry, 10.08.2020 abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=XzM3AERvM70