Die in der Studie beschriebene Große Transformation ist weniger ein Prozess, in dem neue, 
großmaßstäbliche Strukturen künstlich konditionierte Lebenswelten herstellen.
Vielmehr gilt es, die vorhandenen Strukturen intelligent miteinander zu verknüpfen.
Dazu sind dezentral organisierte Infrastrukturen zum Transport von Güter,
Daten und Menschen notwendig.

 





WIRKUNGSRÄUME VERBINDEN

INFRASTRUKTUR ALS BINDEGLIED

Digitalisierung und Ausbau der Mobilität erzeugen neue Distributionswege für Produkte, die klassisch in Warenhäusern der genannten Kette zu finden sind. Die Lagerung und Verteilung der Waren erfolgt mittlerweile über Logistikzentren, deren Netzwerke sich zunehmend dezentralisieren. Durch Ausbau der Mobilitätsdienstleistungen werden Konsument*innen direkt beliefert. Direkt bedeutet, dass die Handelsunternehmen zwischen Produktion und Verbraucher*innen als digitale Plattformen agieren und je nach Bedarf auf Logistik- und Mobilitätsangebot zurückgreifen, um die Waren ausliefern zu lassen. Handelsstrukturen verändern sich in Abhängigkeit mit technischen Innovationen und gesellschaftlichen Veränderungen fortlaufend. Durch die Digitalisierung wird es möglich, auf Ressourcen wie Energie, Mobilität aber auch Produktionsmittel zurückzugreifen, ohne dass sich diese im Eigentum der Person befinden müssen, die sie nutzt.

Bezogen auf den Beginn des Anthropozän schreibt Jeremy Rifkin, „die Technologieplattformen der ersten und zweiten industriellen Revolution waren zentralisiert, ihre Befehls- und Kontrollstrukturen organisierten sich von oben nach unten. Zurückzuführen ist das darauf, dass fossile Brennstoffe nur an bestimmten Orten vorkommen und zentrales Management und vertikale Integration nötig sind, um sie aus der Erde zu holen und zum Endverbraucher zu schaffen.“[1] Die Förderung stetig wachsender Rohstoffmengen erzeugte nach und nach globale Infrastrukturnetzwerke. „Infrastruktur erfordert drei Elemente, die jeweils mit den anderen interagieren, damit das System als Ganzes funktioniert: ein Kommunikationsmedium, eine Energiequelle und einen logistischen Mechanismus.“[2] Diese drei Elemente dezentralisieren sich durch die Digitalisierung. Es ist anzunehmen, dass durch diese Dezentralisierung in verschiedene Sektoren, beispielsweise in der Gewinnung regenerativer Energien, eigenständige Wirtschaftskreisläufe entstehen. [3] [4]

Als Definition beschreibt Dirk van Laak Infrastrukturen als mehr oder minder stabile Fließräume, in die wir uns im Bedarfsfall einklinken, und die dem Verbinden, der Verteilung oder dem Transport von Menschen, Gütern und Informationen dienen.[5] Der Ausbau der Fließräume bestimmte gewissermaßen die vergangenen zwei Jahrhunderte. In den heutigen „wichtigsten technischen Großsektoren (Gebäude, Kleidung, Nahrungsmittel)“[6] sind Infrastrukturen ein inhärenter Bestandteil. Es bildeten sich Orte, die globale Knotenpunkte solcher Fließräume darstellen, wie Finanzzentren, Textilproduktions- und Hardwareproduktionszentren, strategisch liegende Häfen und Flughäfen et cetera.
Von zentraler Bedeutung für die gesellschaftlichen Transformation ist es nun, aus diesem Fundament aus Infrastrukturen heraus, lokale Produktions- und Wirtschaftskreisläufe zu entwickeln. Neben Fließräumen werden dazu auch Räume erforderlich sein, in denen neue Bewertungssysteme entwickelt werden. Solche Experimenträume müssen subventioniert werden, damit unabhängig von Besitzansprüchen ein Bewusstsein für lokale Kreisläufe vermittelt werden kann. Hybride, polyfunktionale Orte bieten dabei ideale Grundvoraussetzungen. Wissensproduktion, Bildung, Güterproduktion und Verwertung sollten dazu integral zusammenarbeiten.

Wie oben beschrieben befinden sich Transformationsräume sowohl in urbanen, als auch in nicht-urbanen Räumen, die jeweiligen Lebenswelten können sehr verschieden sein. Ein dezentral organisiertes Infrastrukturnetz ermöglicht es, verschiede lokale Kreisläufe perspektivisch in gegenseitigen Austausch zu bringen. „Überlegungen zur Zukunft“[7] und dem akutem Transformationsbedarf werden fortlaufend in den verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren erstellt. Das Antizipieren der Zukunft ist nicht möglich, die Gestaltung von Szenarien basierend auf plausiblen Annahmen schon. In Spekulationen Transformationen werden drei mögliche Zukunftsszenarien für das gesellschaftliche Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Jahr 2050 beschrieben.[8] Sie zeigen, dass die Interaktion der Konsumwende, Energiewende, Ressourcenwende, Mobilitätswende Ernährungswende, Urbanen Wende und Industriellen Wende sehr unterschiedliche Auswirkungen hervorbringen kann. Dabei nehmen die Autoren, gewissermaßen als Kleinsten Gemeinsamen Nenner an, dass die BRD in ihrem Territorium gleichermaßen fortbesteht. Zukunftsszenarien unterliegen immer Grundannehmen als Ausgangspunkt. Gesellschaftliche Transformation ist jedoch ein fortlaufender Prozess, den es stetig anzupassen und zu gestalten gilt. Ein denkbares Szenario zur Vermittlung der anstehenden Transformationen wäre, verschiedene Experimenträume an strategischen Standorten zu etablieren.



[1] Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2016, S. 43
[2] ebda. S. 30

[3] Vgl.: S. 105 - 132
[4] Vgl.: WBGU, Gutachten: Unsere gemeinsame digitale Zukunft, Kapitel: „3.4 Kerncharakteristika des Digitalen Zeitalters“, Berlin, 2019, S. 92 - 96, 20.09.2020 abgerufen unter: 
https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2019/pdf/wbgu_hg2019.pdf

[5] Vgl.: Dirk von Laak, Alles im Fluss – Die Lebensadern unserer Gesellschaft: Geschichte und Zukunft der Infrastruktur, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, S. 13
[6] Dietrich Erben, Infrastruktur, Architektur und politische Kommunikation – Eine Skizze, Arch+ 239 „Europa – Infrastrukturen der Externalisierung“, S. 73

[7] Aus dem Titel von: Spekulationen Transformationen – Überlegungen zur Zukunft von Deutschlands Städten und Regionen: Matthias Böttger, Stefan Carsten, Ludwig Engel, Spekulationen Transformationen, Lars Müller Publishers, Zürich, 2016
[8] Vgl.: Matthias Böttger, Stefan Carsten, Ludwig Engel, Spekulationen Transformationen, Lars Müller Publishers, Zürich, 2016