AUSFLÜGE IN ZUKÜNFTE,

WARTUNGSARBEITEN AM RAUMSCHIFF ERDE? [1]


Das Antizipieren von Zukunftsszenarien ist oft der Beginn und Ansatzpunkt menschlichen Handelns. [2] Es kann als ein psychologisches Grundmuster verstanden werden, ein Ziel anzuvisieren und demnach zielgerichtet zu handeln. [3] Die nachfolgende Studie ist die Abschlussarbeit eines Architekturstudiums. Zu Beginn des Studiums wurde vom Verfasser vermutlich angenommen, dass einem erfolgreichen Abschluss nach einigen Jahren immer noch ein ähnlicher Stellenwert beigemessen werden würde, wie noch zu Beginn seiner Studienzeit. Die präzise Fokussierung auf ein Ziel birgt jedoch auch die Gefahr, dass sich im zeitlichen Verlauf des Handelns grundlegende Paradigmen ändern, sodass das Ziel verfehlt wird. Veränderungen können zum Beispiel durch Naturkatastrophen, Börsencrashs oder auch Pandemien entstehen. Es wäre möglich anzunehmen, dass die handelnde Person einfach Pech hatte und beispielsweise die Natur, unseren Planeten Erde dafür verantwortlich zu machen, dass die Person ihr Ziel verfehlt hat. Eine andere Deutung wäre jedoch, dass das Fokussieren auf verschiedene Szenarien eine agilere Methode ist, um auf zukünftige Entwicklungen dynamisch zu reagieren.

Beim Antizipieren von unterschiedlichen Zukünften und Szenarien ist es wichtig auf Grundlage von Zusammenhängen zu handeln. In der Lebenswelt, in der diese Arbeit verfasst wird, einer Lebenswelt mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung, sind ökonomische Zusammenhänge sehr gut erkennbar. Es ist anzunehmen, dass vor allem wirtschaftliches Wachstum ein häufig anvisiertes Ziel darstellt. Dieses Ziel steht in einer Wechselwirkung mit der gebauten Lebensrealität, der Umwelt, innerhalb derer ein Ziel verfolgt wird.

Realität bedeutet, dass es Konstanten gibt, die unsere Umwelt bestimmen. [4] Es gibt demnach Grundlagen zum Antizipieren von Zukünften, auf die sich Menschen scheinbar besonders gut verlassen können. Eine sehr bekannte Grundlage ist zum Beispiel der Energieerhaltungssatz, nachdem in einem geschlossenen System keine Energie verloren gehen kann. Das wichtigste geschlossene System für den Menschen ist der Planet Erde selbst. Seine Subsysteme lassen sich messen, visualisieren und einordnen, zum Beispiel im Periodensystem der chemischen Elemente. Technologische Fortschritte und wissenschaftliche Forschung wie die Raumfahrt zeigen aber auch, dass Konstanten wie die Schwerkraft für einzelne Mikrosysteme überwunden werden können. Es ist wichtig, dass anvisierte Zukünfte stetig überprüft und gegebenenfalls neu ausgelotet werden. Um dabei besser navigieren zu können schrieb R. Buckminster Fuller bereits in den 1960er Jahren die Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde mit der eindringlichen Botschaft, die Erde als „integral konstruierte Maschine“, [5] als ein zirkuläres, „geschlossenes System“ [6] zu verstehen. Spätestens seit dem Beginn der Industrialisierung wird zunehmend in dieses System eingegriffen. Gewissermaßen wird durch technische Entwicklungen der Schaltkreis des Raumschiff Erde verändert, mitunter ohne die Folgen einzukalkulieren.

Bei technischen Entwicklungen bleibt es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Bauteile nach einer gewissen Nutzungsdauer einen Defekt aufweisen und ein Update notwendig wird.

Die nachfolgende Arbeit sucht nach eben diesen defekten Bauteilen und möglichen Updates für das Raumschiff Erde.Dabei werden Gebäudetypologien des Handels fokussiert, die in einer direkten Verbindung mit der lokalisierten Lebenswelt stehen. Gleichzeitig wagt die Arbeit einen Ausblick in die aktuellen Handlungszusammenhänge der 2020er Jahre, denn die Menschheit ist „eine Spezies, die mit 100.000 Kilometern in der Stunde um die Sonne rast. Da kann man doch mal den Kopf rausstrecken und fragen, was da draußen los ist.“ [7]



[1] R. Buckminster Fuller, Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, Verlag der Kunst, Amsterdam, Dresden, 1998
[2] Vgl.: Harald Welzer, Unsicherheit zwingt zum Nachdenken über uns selbst, After Corona Club,
Ausschnitt min. 07:32, 03.06.20 abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=xX6mJilRHdo
[3] Harald Welzer, Wir verstehen die Welt nicht mehr, TAZ FUTURZWEI,
15.06.2020 abgerufen unter: https://taz.de/Harald-Welzer-in-der-neuen-taz-FUTURZWEI/!171054/
[4] Vgl.: R. Buckminster Fuller, Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, Verlag der Kunst, Amsterdam, Dresden, 1998, S. 19 - 20
[5] ebda. S. 48
[6] ebda. S. 81
[7] Sebastian Straube, Raumfahrtexperte über Musks‘ Raketen „SpaceX hat eine Vision“, TAZ, 02.06.2020 abgerufen unter: https://taz.de/Raumfahrtexperte-ueber-Musks-Raketen/!5688911/